Heilbronner Stimme - Reportage auf Seite 5 vom 14. Mai 2007

Auf den Spuren der Astronauten
Von Michael Schwarz

Jeder von ihnen ist ein kleiner Abenteurer. Wer nicht mit anpacken will, ist bei ihnen fehl am Platz. Sie setzen sich füreinander ein, ohne Idealisten zu sein. Sie versuchen, im Einklang mit der Natur zu leben, ohne technikfeindlich zu sein. Sie sind eine große Familie, in der jeder seine Stärken ausleben kann. Die Rede ist von den Pfadfindern. Seit 100 Jahren gibt es die Bewegung. Zu diesem Anlass schlagen die Heilbronner Pfadfinder ihre Zelte auf einer Wiese am Waldrand von Sennfeld auf. Der Adelsheimer Stadtteil liegt im Neckar-Odenwald-Kreis. Hier bereiten 23 Pfadfinder ein großes Pfingstlager vor. Hier soll Ende Mai ihr großes Fest steigen.

Mit vollem Einsatz bei der Sache: Christian Dobler klettert auf die Eiche, um an einem kräftigen Ast das Seil für das Kothezelt zu befestigen.

Fleißarbeit Pfadfinder passen sich der Natur an. Sie scheuen keine körperliche Herausforderung. Das trifft auch auf Christian zu. Wie Tarzan, nur ohne Liane, zieht sich der 22-Jährige an einem Seil, das an einem Ast befestigt ist, den Baum hoch. Zwei Mal rutscht er ab, fängt sich aber wieder. Sein Griff wird fester, ehe er seinen Körper wieder unter Kontrolle hat. Oben angekommen drückt er die Blätter der Eiche zur Seite und schaut zwischen zwei kleinen Ästen nach unten. Vico reagiert am schnellsten und wirft dem schlaksigen Bad Wimpfener ein zweites Seil zu. Gefangen. Am Ende des Stricks hängt ein Holzkreuz. Christian: „Damit wird das Zeltdach befestigt.“

Zweieinhalb Meter unter ihm liegen vier rund zwei Quadratmeter große Planen. Allesamt schwarz. „Die müssen wir zusammenbinden“, sagt Luisa. Sonst gehört die 19-Jährige zu den Aufgedrehten und ist immer für einen Spaß zu haben. Wenn sie in der Gruppe wirbelt, kommen die Jungs schwer dagegen an. Jetzt aber ist Akribie gefragt. Loch für Loch fädelt Luisa die Planen zusammen. „In einer viertel Stunde kann man ein Zelt aufbauen“, so die Böckingerin. Heute brauchen die Pfadfinder etwas länger. Schließlich muss der Aufbau in Wort und Bild dokumentiert werden. Nach 25 Minuten steht die Kothe, so der Name des Zeltes, dessen Urform aus Lappland stammt. Christoph: „Das können wir sogar mit einem Feuer innen beheizen. Der Qualm zieht durch ein Abzugsloch nach außen.“

Der Heilbronner Simon Brenner packt beim Holzmachen mit an.

Nicht alle Zelte können mit dieser Technik aufgebaut werden. Deswegen machen sich die fleißigen Helfer auf den Weg, um Holz zu schlagen, die Kothenstangen. Mit Motorsäge und Axt im Kofferraum fahren sie in ein nahe gelegenes Waldstück.

Die Hitze drückt, und der Boden ist trocken. Die Autos wirbeln Staub auf. Ein Spaziergänger mit weißen Haaren blickt der Gruppe, allesamt mit Heilbronner Kennzeichen, hinterher. Ungläubig verdreht er die Augen. Kommen Ende Mai rund 350 Pfadfinder nach Sennfeld, wird sich seine Verwunderung noch steigern. Im Waldstück angekommen, rattert schon die Motorsäge. Jeweils zwei Pfadfinder schleppen die Stämme, die sie später als Zeltstangen benutzen. Keine Arbeit für Schwächlinge. Simon verzieht das Gesicht - ihm ist die Anstrengung anzusehen. „Von denen brauchen wir 200 Stück“, so der Heilbronner Student, der schon seit 13 Jahren dabei ist. Damals versprach er, sich an die Pfadfindergesetze zu halten.

Luisa Dollinger (links) und Claudia Dederer genehmigen sich eine Pause.

In diesen werden Treue, Kameradschaft und Hilfsbereitschaft verlangt. Von jedem. „Einmal Pfadfinder, immer Pfadfinder. Das ist eine Lebenseinstellung“, sagt der 27-jährige Steffen voller Überzeugung. Trotz der anstrengenden Vorbereitungen auf das Pfingstlager gönnen sich die Pfadfinder zwischendurch eine Pause. Sie bilden einen Kreis und klatschen in die Hände. Sie nennen das ihren afrikanischen Sonnentanz. Steffen: „Damit verbreiten wir gute Stimmung. Ein Pfadfinder singt, pfeift und lacht in allen Lebenslagen.“

Danach stimmen sie noch ein Lied an. Vico greift in die Saiten. Mit jeder Strophe werden sie befreiter. Sie singen sich in einen Rausch. Jeder will der Lauteste sein. Gemeinsam, wie sie es am liebsten haben, sind sie unschlagbar. „Sind wir einmal fortgezogen, dorthin, wo es uns gefällt, bringt auch unser Regenbogen neue Farben in die Welt“, heißt es in ihrem „Regenbogenlied“, das sie immer singen, wenn sie sich treffen. Es passt auch zum heutigen Tag, an dem es die Pfadfinder in ein Dorf im Neckar-Odenwald-Kreis verschlagen hat. Hier fühlen sie sich wohl. Das ist ihre Welt. Wer in die Gesichter der Pfadfinder schaut, kann es sehen.

Bei Vico hält der Zauber noch länger an. Während sich die anderen wieder an die Arbeit machen, lehnt sich der Junge mit der Gitarre gegen einen Baum und spielt noch einige Lieder. Nur für sich. Weit weg von den anderen und dem Rest der Welt.

Sucht die Ruhe: Vico Weinstock, der Junge mit der Gitarre.

Die Gemeinschaft Sitzen sie zusammen, reden sie auch über das, was ihr Handeln bestimmt. Es menschelt. „Ich bin Pfadfinder, weil man Kinder zum Lachen bringt“, so Steffen. Damit meint er die jüngsten Mitglieder. Die Wölflinge, so die Bezeichnung der Jungs, und die Wichtel, wie die Mädchen in manchen Pfadfinderverbänden genannt werden. Sie können ab einem Alter von sieben Jahren dazustoßen. „Ich möchte sehen, wie sie bei uns groß werden“, sagt Christoph. Wenn er das sagt, glänzen seine Augen. Für einen kurzen Augenblick scheint es, als spräche der Pfadfinder von seinen eigenen Kindern.

Schon in jungen Jahren wollen die Pfadfinder die Kleinen lehren, was wichtig ist. Es geht um Gefühle und eine innere Verbindung - kurz: das Gemeinschaftsgefühl. „Das ist das Wichtigste“, sagt der 29-jährige Andreas - mit voller Überzeugung. Stimmt die Einstellung, spielen das Alter oder auch das handwerkliche Geschick keine Rolle. Simon: „Bei uns kann man alles lernen.“

Nach Sternen greifen Sprechen die jungen Menschen über ihr Leben, schweifen sie in die Ferne. „Viele Astronauten waren Pfadfinder“, sagt einer der Jungs plötzlich, und sein Blick wandert gen Himmel. Als würde er tatsächlich nach den Raumfahrern suchen. Wie die Männer im All greifen auch die Pfadfinder immer wieder nach den Sternen und suchen das Abenteuer. Im beschaulichen Sennfeld wird am Pfingstwochenende ein weiteres dazukommen.


Stichwort

Ursprünge Die Pfadfinderbewegung ist eine internationale und unpolitische Bewegung für Kinder und Jugendliche. Das erste Pfadfinderlager organisierte der britische General Robert Baden-Powell im Jahr 1907.

Pfadfinder im Unterland Im Landkreis Heilbronn gibt es drei Pfadfinderverbände mit insgesamt 1575 Mitgliedern. Der Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) hat 75 Mitglieder und jeweils einen Stamm in Heilbronn und in Untergruppenbach. Die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) hat im Landkreis Heilbronn 750 Mitglieder in 14 Stämmen. Der Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) besteht aus ebenfalls 750 Mitgliedern, die sich auf 17 Stämme verteilen. Im gesamten Hohenlohekreis gibt es rund 250 Pfadfinder.

Infos zu den Pfadfindern